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48723-01 - Vorlesung: Moralisierung in der öffentlichen Kommunikation 2 KP

Semester Herbstsemester 2017
Angebotsmuster unregelmässig
Dozierende Clemens Knobloch (clemens.knobloch@unibas.ch, BeurteilerIn)
Inhalt Motto:
Die These, dass der große Umsatz an Seife von großer Reinlichkeit zeugt, braucht nicht für die Moral zu gelten, wo der neuere Satz richtiger ist, dass ein ausgeprägter Waschzwang auf nicht ganz saubere innere Verhältnisse hindeutet. (Musil 1978: 246)

Bei Hochwert- und Fahnenwörtern wie „Moral“ ist es eine bewährte Übung, zuerst einmal zu fragen, wogegen sie sich eigentlich richten. Was sind ihre Gegenwörter? Sozialpsychologisch stehen „moralische“ Orientierungen als normative Wertorientierungen gegen „kognitive“ Orientierungen. Wo wir uns kognitiv orientieren, da sind wir bereit, bei entgegenstehenden Erfahrungen unser Verhalten zu ändern. Wo wir uns moralisch orientieren, da halten wir im Gegenteil an unseren Werten fest, auch wenn andere sie erfolgreich brechen oder verletzen. Nehmen wir einen alltäglichen Konfliktfall zwischen beiden Orientierungstypen: Wenn „alle anderen“ illegal Filme und Musik aus dem Internet herunterladen, dann kann ich „kognitiv“ sagen: Das mache ich dann auch, weil es normal ist, oder ich kann „normativ“ sagen: Das mache ich trotzdem nicht, weil es falsch ist und Werte verletzt.
In der öffentlichen Kommunikation steht „Moral“ also einerseits für die Sphäre normativer und werthaltiger Orientierungen, an denen wir auch gegen widersprechende Erfahrung festhalten wollen. Andererseits steht Moral aber auch noch in Gegensatz zu Handlungen und Orientierungen, die an eigenen, individuellen und egoistischen Interessen orientiert sind. In dieser Dimension heißt „moralisch“ so viel wie „selbstlos“, uninteressiert . Vielfach gelten nur Handlungen als „moralisch“, die den eigenen Interessen zuwiderlaufen, die also Kosten, Verluste, Risiken heraufbeschwören. So gesehen ist Moral (bzw. moralisches Verhalten) für den Einzelnen „teuer“. Sie involviert in der Regel den Verzicht auf eigene Vorteile und steht insofern im Gegensatz zu „egoistischem“ Verhalten.
Während Moral unter dieser Verhaltensperspektive aufwändig und teuer ist, gilt auf der anderen Seite, dass kaum etwas so billig zu haben ist wie Moralkommunikation. Auch für das eigensüchtigste Verhalten lässt sich in aller Regel ein hoch moralisches Motiv für die Kommunikation improvisieren. Wer Sie gründlich ausnehmen will, der will im Grunde ja immer nur „Ihr Bestes“. Und wer ein neues Produkt an den Mann oder an die Frau bringen möchte, der wird auf alle Fälle einen symbolischen moralischen Mehrwert beimischen. Mit dem Ziel, dass Sie sich moralisch gut fühlen, wenn Sie das entsprechende Produkt erwerben. Moralisierte Kommunikation begegnet uns auf Schritt und Tritt: Kaum ein Produkt, das nicht „fair gehandelt“, ökologisch wertvoll oder anderweitig moralisch geadelt wäre. Kriegerische Interventionen scheinen niemals im Interesse der Intervenierenden zu erfolgen, sondern stets im Dienst höchster moralischer Ziele wie der Durchsetzung von Menschenrechten oder der Verhinderung eines Völkermordes. Hoch moralisiert ist der sprachliche Umgang mit Minderheiten, Opfern, Kindern, auch und gerade wenn der faktische Umgang mit ihnen eher hemdsärmelig wirkt. Unübersehbar ist auch der Umstand, dass Staatshandeln öffentlich so kommuniziert wird, dass es zu einem moralischen Staatsimage beiträgt. Es gibt so etwas wie eine Selbstmoralisierung der modernen Wohlfahrtsstaaten, und die Opposition arbeitet mit Gegenmoralisierungen (Flüchtlingskrise!).Wir wollen die Spielarten, Themenfelder und Funktionen moralisierter öffentlicher Kommunikation in dieser Vorlesung genauer unter die Lupe nehmen.

Themenplan
[1] Moralisierung in der öffentlichen Kommunikation: Einführung und Überblick
[2] Moralisierter Konsum, moralisierte Images, Aufmerksamkeitspolitik
[3] Fallstudien I: „Inklusion“
[4] Fallstudien II: „sozial“ – Geschichte und Dynamik eines heimlichen Grundbegriffs
[5] Improvisation moralischer Gemeinschaften durch Wertbegriffe
[6] Krisenlabor I: Moralisierung und Gegenmoralisierung in der Flüchtlingskrise
[7] Krisenlabor II: Wer hat Angst vor „Verschwörungstheorien“?
[8] Krisenlabor III: „Populismus“ oder die Krise des progressiven Neoliberalismus
[9] Herrschaftsverdichtung durch Moralkommunikation
[10] Zusammenfassung und Ausblick
Lernziele Ziel der Vorlesung ist es, einen umfassenden Überblick über Techniken, Praktikern und Funktionen der Moralisierung in öffentlicher und politischer Kommunikation zu geben.
Literatur Zum Themenplan der Vorlesung wird ein ausführliches Skript zur Verfügung gestellt, in dem sich auch weitere Literaturhinweise befinden. Als einführende Lektüre empfehle ich Knobloch (2015).
Arendt, Hannah (1972): Wahrheit und Lüge in der Politik. Zwei Essays. München: Piper.
Erdl, Marc Fabian (2004): Die Legende von der politischen Korrektheit. Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos. Bielefeld: transcript.
Fischer, Karsten (2006): Moralkommunikation der Macht. Politische Konstruktion sozialer Kohäsion im Wohlfahrtsstaat. Wiesbaden: VS.
Gehlen, Arnold (1973): Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik. Frankfurt/M.: Athenaion.
Gehring, Petra (2012): „Fragliche Expertise. Zur Etablierung von Bioethik in Deutschland“. In: Hagner, Michael (ed.): Wissenschaft und Demokratie. Berlin: Suhrkamp. S. 112-139.
Knobloch, Clemens (1998): Moralisierung und Sachzwang. Politische Kommunikation in der Massendemokratie. Duisburg: DISS.
Knobloch, Clemens (2002): „Moralische Eskalation von Feindschaft". Geulen, Christian & von der Heiden, Anne & Liebsch, Burkhard (Hg.): Vom Sinn der Feindschaft. Berlin (Akademie). S. 233-248.
Knobloch, Clemens (2015): „Moralisierung in der öffentlichen Kommunikation“. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) Nr. 177 (Bewerten im Wandel, herausgegeben von Stephan Habscheid). S. 167-184.
Knobloch, Clemens (2015a): ) „Die Moral des Neoevolutionismus“. In: Deus, Fabian et al. (Hg.): Die Kultur des Neoevolutionismus. Zur diskursiven Renaturalisierung von Mensch und Gesellschaft. Bielefeld: transcript S. 103-134.
Link, Jürgen (2007): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. 3. Aufl. Stuttgart: Vandenhoeck & Ruprecht.
Lübbe, Hermann (1994): „Moralismus. Über eine Zivilisation ohne Subjekt“. In: Universitas. Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft 49,4. S. 332-342.
Maas, Utz (1985): „Konnotation“. In: Januschek, Franz (Hg.): Politische Sprachwissenschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 71-96.
Musil, Robert (1978): Der Mann ohne Eigenschaften (= Gesammelte Werke, Bd. 1-5). Reinbek Rowohlt.
Simmel, Georg (1904): Einleitung in die Moralwissenschaft. Erster Band. 2. Aufl. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1989 (=Gesamtausgabe, Band 3).
Veblen, Thorstein (1986): Theorie der feinen Leute. Frankfurt/M.: Fischer (zuerst engl. The Theory of the Leisure Class, 1899).

 

Teilnahmebedingungen Erwünscht ist Anfangserfahrung in der Analyse politischer Kommunikation und Interesse für alle Fragen der sprachlich-kommunikativen Organisation von Macht und Zustimmungsbereitschaft in politischen Zusammenhängen.
Unterrichtssprache Deutsch
Einsatz digitaler Medien kein spezifischer Einsatz

 

Intervall Wochentag Zeit Raum

Keine Einzeltermine verfügbar, bitte informieren Sie sich direkt bei den Dozierenden.

Module Interphilologische Lehrveranstaltungen für die Nordistik (Bachelor Studienfach: Nordische Philologie (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Interphilologische Lehrveranstaltungen für die Slavistik (Master Studienfach: Slavistik (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Modul Aufbaustudium Deutsche Sprachwissenschaft (Bachelor Studienfach: Deutsche Philologie)
Modul Deutsche Sprachwissenschaft (Master Studienfach: Deutsche Philologie)
Modul Deutsche Sprachwissenschaft I (Master Studienfach: Deutsche Philologie (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Modul English Sociolinguistics & Cognitive Linguistics (Master Studienfach: Englisch (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Modul Extending the View (Linguistics) (Bachelor Studienfach: Englisch (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Modul Forschungspraxis und Vertiefung (Master Studiengang: Sprache und Kommunikation)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft BA (Bachelor Studienfach: Italianistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft BA (Bachelor Studienfach: Hispanistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft BA (Bachelor Studienfach: Nordistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft BA (Bachelor Studienfach: Französistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft BA (Bachelor Studienfach: Deutsche Philologie)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft BA (Bachelor Studienfach: Englisch)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft MA (Master Studienfach: Hispanistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft MA (Master Studienfach: Nordistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft MA (Master Studienfach: Slavistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft MA (Master Studienfach: Französistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft MA (Master Studienfach: Latinistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft MA (Master Studienfach: Englisch)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft MA (Master Studienfach: Italianistik)
Modul Interphilologie: Sprachwissenschaft MA (Master Studienfach: Deutsche Philologie)
Modul Refining Skills in Linguistics (Bachelor Studienfach: Englisch (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Modul Research Skills in English Linguistics or Literature (Master Studienfach: Englisch (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Modul Soziolinguistik (Master Studiengang: Sprache und Kommunikation (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Modul Sprache und Gesellschaft (Master Studiengang: Sprache und Kommunikation)
Wahlbereich Bachelor Deutsche Philologie: Empfehlungen (Bachelor Studienfach: Deutsche Philologie (Studienbeginn vor 01.08.2013))
Wahlbereich Master Deutsche Philologie: Empfehlungen (Master Studienfach: Deutsche Philologie)
Leistungsüberprüfung Leistungsnachweis
Hinweise zur Leistungsüberprüfung Kleine Essays und exemplarische Fallanalysen zu öffentlich hoch moralisierten Themenfeldern wie Ökologie, Tierschutz, Klima, Minderheiten, Geschlechterbeziehungen etc.
An-/Abmeldung zur Leistungsüberprüfung Anmelden: Belegen; Abmelden: nicht erforderlich
Wiederholungsprüfung eine Wiederholung, Wiederholung zählt
Skala Pass / Fail
Wiederholtes Belegen beliebig wiederholbar
Zuständige Fakultät Philosophisch-Historische Fakultät, studadmin-philhist@unibas.ch
Anbietende Organisationseinheit Fachbereich Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft

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