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57219-01 - Lecture: Naturethik einmal anders 2 CP

Semester spring semester 2020
Course frequency Once only
Lecturers Angelika Krebs (angelika.krebs@unibas.ch, Assessor)
Content „Kein Baum darf mehr in den Himmel wachsen.“ Es stimmt etwas nicht mit unserem Verhältnis zur Natur!
Diese philosophische Vorlesung setzt in ihrer Suche nach einer Antwort auf die Frage nach einem besseren Umgang mit der Natur auf die Vernunft der Menschen. Es kann nicht sein, dass es einer mittleren Naturkatastrophe bedarf, damit die Menschen wieder zu sich kommen und ihren Platz in der Natur finden.
Die Vorlesung richtet sich an alle, die grundsätzlicher über unsere Haltung zur Natur nachdenken möchten. Sie wendet sich also nicht nur an Studierende der Philosophie. Schon insofern ist diese Vorlesung anders als die üblichen Einführungen in die Naturethik.
Das Eingangszitat ist dem Hauptwerk des Frankfurter Schriftstellers Peter Kurzeck entnommen. In seinem Roman „Vorabend“ von 2011 hat es viele Passagen zur Natur, u.a. zwei Kapitel zum Weltbild der Igel. Mit Peter Kurzeck will diese Vorlesung Naturethik auch aus der Perspektive der Igel denken. Aus dieser Perspektive erscheinen die Menschen als eine etwas seltsame Tierart („Was es nicht alles so gibt.“), umtriebig und erfindungsreich, aber auch undankbar und anmaßend. Die Vorlesung ist also auch insofern anders, als sie die gewohnte menschliche Perspektive auf die Natur mithilfe dichterischer Phantasie hinterfragt und übersteigt.
Genauer gestaltet sich das Hand-in-Hand-Gehen von Philosophie und Literatur so, dass jedes der fünf Kapitel der Vorlesung mit einem längeren Zitat aus Kurzecks Hauptwerk „Vorabend“ beginnt. In einem Gespräch mit Schülern sagte Kurzeck einmal selbst über dieses Werk: „Und es ist eigentlich die Summe all dessen, was ich weiß, in dem Buch drin.“ Dann wird das Zitat in einem „close reading“ mit philosophischen Unterscheidungen und Argumentationen angereichert, entfaltet und kontrovers diskutiert. Besonders fruchtbar und befriedigend dürfte es sein, Kurzecks Roman parallel zur Vorlesung zu lesen. Der Roman hat allerdings über tausend Seiten und erschliesst sich nicht auf Anhieb. Man muss erst in den richtigen Rhythmus hineinkommen. Die für die Vorlesung ausgewählten Zitate sollen auch Lust machen auf diesen grossartigen Roman. Vorausgesetzt ist seine Lektüre aber nicht. Flankiert wird die Vorlesung von einer internationalen Tagung im April im Hofgut Castelen bei Basel zu Peter Kurzecks schriftstellerischen und malerischen Werk.
Die Kristallisationspunkte, um die herum diese Vorlesung unser prekäres Naturverhältnis auslotet, sind erstens unser Mitleid mit den uns nahverwandten Tieren, die wir trotzdem, wie nebenbei, totfahren, zweitens unsere Freude an der Schönheit der Natur, die wir trotzdem zustellen und entstellen, drittens unser spirituelles Bedürfnis nach Geborgenheit in der Welt, die wir trotzdem ummodeln, als wäre sie Knete in unseren Händen, und viertens unser Verwurzelt-Sein in der heimatlichen Landschaft, die wir trotzdem zu einem austauschbaren Unort machen. Wie ein gutes Leben in und mit der Natur eingedenk dieser vier Wertdimensionen: Mitgeschöpflichkeit, Schönheit, Heiligkeit und Heimat, praktisch aussehen könnte und warum es uns heute, individuell wie gesellschaftlich, so schwerfällt, ist Gegenstand des fünften und letzten Kapitels.
Das wesentliche Anliegen der Vorlesung ist die Vertiefung und Verteidigung unserer Liebe zur Natur in einer Zeit, in der Naturwissenschaft und Technik unser Leben so bestimmen, dass für kaum etwas anderes noch Raum zu sein scheint. Wollen wir ganze Menschen bleiben, müssen wir unserer Liebe zur Natur wieder besser gewahr werden. Denn wenn wir etwas lieben, verfügen wir nicht darüber, wir begegnen ihm vielmehr als einem Du. Die in Kurzecks Werk allgegenwärtige „Personifikation“ der Natur ist ein stimmiger, wenn auch nur metaphorischer Ausdruck dieser liebevollen Haltung. Als metaphorischer Ausdruck tritt sie nicht in Widerstreit mit dem naturwissenschaftlich-technischen Bild der Natur. Sie ergänzt es vielmehr in fundamentaler Weise.
Nichts gegen Computer! Sie leisten uns wertvolle Dienste. Die glitzernde, narkotisierende künstliche Welt am Bildschirm macht uns nur mitunter vergessen, dass es eine wirkliche Welt jenseits der technischen Verfügung gibt. Die Liebe zur Natur setzt der technischen Machbarkeit sozusagen von sich aus eine Grenze. Dass wir in einer Welt leben können, die uns nicht nur die Befriedigung unserer materiellen Grundbedürfnisse erlaubt, sondern uns auch ermöglichst, mit der Natur zu resonieren, sollte das Mass aller Dinge sein im Naturschutz. Das Gebot der Nachhaltigkeit, welches die ganze Welt inzwischen zumindest im Munde führt, ist dafür zu schwach. Es hat unsere Bedürfnisse nach mitgeschöpflicher, ästhetischer, spiritueller und heimatlicher Resonanz mit der Natur nicht im Blick. Es bedarf der Liebe zur Natur, um die Natur vor übermässiger „Vernutzung“ zu schützen.
Doch warum gerade Kurzeck? Hätte man dieses Plädoyer für mehr Liebe zur Natur nicht auch allein, ohne fremde Hilfe, oder mit anderen Schriftstellern machen können, mit Goethe oder Keller, Hölderlin oder Rilke, oder wenn es moderner sein soll, mit Dylan Thomas, Arno Schmidt oder Philippe Jaccottet? Freilich. Doch in Kurzecks „Vorabend“ ist ein besonders reicher Schatz zu bergen.
Als wesentliche philosophische Gesprächspartner fungieren zunächst, was das Zusammenspiel von Literatur und Philosophie, etwa für unser Mitleid mit den Tieren angeht, der Jenaer Erkenntnistheoretiker Gottfried Gabriel (und zeitlich etwas weiter zurückliegend der Lebenslogiker Georg Misch), dann zur Naturästhetik der Oxforder «Allrounder» Sir Roger Scruton, zum dritten zu Spiritualität der Potsdamer Sprachphilosoph Hans Julius Schneider, zum vierten zu Heimat der jüdische Intellektuelle Jean Améry und zuletzt zur Kritik an unseren Bedürfnissen und unserer Art des Wirtschaftens der Konstanzer Wissenschaftskritiker Friedrich Kambartel (und vom Anfang des letzten Jahrhunderts der Soziologe Georg Simmel). Allgegenwärtig im Hintergrund sind Immanuel Kant und Ludwig Wittgenstein. Im naturethischen Gesamtansatz bestehen inhaltliche Nähen zu den ökoethischen Arbeiten von Dieter Birnbacher, Konrad Ott und (noch einmal) Roger Scruton.
Das der Vorlesung zugrundeliegende Manuskript ist ein Gemeinschaftsprojekt. Mitgearbeitet haben neben der Philosophieprofessorin Angelika Krebs ihre beiden Assistenten Dr. Jan Müller und Dr. Alexander Fischer sowie die zwei Studentinnen Stephanie Schuster und Yvonne Stocker. Konkreter geht das Vorlesungsmanuskript, welches auch als Buch erscheinen soll, auf etliche gemeinsame Lektüren, Seminare und Ausflüge in die Kurzecksche Natur im hessischen Staufenberg und südfranzösischen Uzès zurück. Auch insofern ist diese Vorlesung anders als übliche Einführungen.
Bibliography Zur vorbereitenden Lektüre empfehlen sich die Igel-Kapitel zehn und elf aus Peter Kurzecks Roman „Vorabend“ (2011) und was die naturethische Argumentation angeht „Naturethik im Überblick“ von Angelika Krebs (in dem von ihr herausgegebenen Suhrkamp-Band „Naturethik“ (1997)).
Comments Für JuristInnen geeignet.
Weblink https://adam.unibas.ch

 

Language of instruction German
Use of digital media No specific media used
Course auditors welcome

 

Interval Weekday Time Room

No dates available. Please contact the lecturer.

Modules Aufbaumodul (Teil C) (Transfakultäre Querschnittsprogramme im freien Kreditpunkte-Bereich)
Aufbaumodul (Teil D) (Transfakultäre Querschnittsprogramme im freien Kreditpunkte-Bereich)
Modul: Praktische Philosophie (Master's degree subject: Philosophy)
Modul: Probleme der Praktischen Philosophie (Bachelor's degree subject: Philosophy)
Assessment format record of achievement
Assessment registration/deregistration Reg.: course registration; dereg.: not required
Repeat examination one repetition, repetition counts
Scale Pass / Fail
Repeated registration no repetition
Responsible faculty Faculty of Humanities and Social Sciences, studadmin-philhist@unibas.ch
Offered by Fachbereich Philosophie

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